Morak (Hexe) - Moraks Jugend

Norja, meine Mutter, brachte mich in einer kleinen Holzhütte ohne die Hilfe einer Hebamme zur Welt. Sie traute keinem mehr außer unseren Schwestern, denn nur knapp konnte sie dem Scheiterhaufen entfliehen. Sie suchte Schutz im weiten Nebelmoor. Erschöpft von der tagelangen Flucht und geschwächt durch ihre Schwangerschaft, war sie froh, versteckt in einem kleinen Birkenwäldchen, eine verlassene Holzhütte vorzufinden. Der Wald bot ihr alles, was sie brauchte und so blieb sie bis zur Niederkunft.

Sie gab mir den Namen Morak. Dies stamme aus einer nordischen Sprache und bedeute Hoffnung.
Auch nach meiner Geburt zog sie die Einsamkeit des Moores vor. So wuchs ich nur in der Gesellschaft Norjas auf. Sie zähmte ein paar Tiere und ich liebte es mit ihnen zu spielen. Später lehrte sie mich das Zähmen und viele andere nützliche Dinge. Ich konnte schon nach zehn Sommern sämtliche Pflanzen benennen und wußte viel über ihre Verwendungen. Achja, zuvor hatte ich schon meinen ersten Besen bekommen und mit Begeisterung das Fliegen geübt.

Zwei weitere Sommer vergingen. Und endlich war es soweit. Eine Schlange lief mir zu und ich machte sie zu meinem Vertrauten. Es war eine schöne Smaragdnatter. Ich gab ihr den Namen Smialyak. Meist nannte ich sie nur liebevoll Smia.
Norja meinte, das sei ein gutes Zeichen und vielleicht wäre es auch an der Zeit, daß sie nicht mehr allein zu den Hexennächten fliegen, sondern mich dorthin mitnehmen sollte.
Natürlich war ich völlig aufgeregt, hatte ich mir doch schon so oft ausgemalt, wie es auf so einem Fest zuginge. Das war das erste mal, daß ich andere Menschen aus der Nähe gesehen habe und ich mit ihnen sprechen durfte. Ganz gebannt habe ich zugeschaut, wie die Flugsalbe gebraut wurde. Eine Schwester versuchte mir sogar, einen Fluch beizubringen. Aber ich stellte mich dabei wohl schrecklich dumm an und sie gab es auf.
Fortan durfte ich zu jeder Hexennacht mit. Ich liebte es, mich in Extase zu tanzen, mit den anderen zu singen, zu lachen und Wissen auszutauschen.

Es war bestimmt das siebte oder achte mal, daß ich mitkam, als ich zum ersten mal einen jungen Mann daran teilnehmen sah. Bis dahin wußte ich gar nicht, daß auch Männer zum Zirkel gehören können. Naja, zuerst war ich nur neugierig, dann ganz aufgeregt und letztlich ziemlich schnell in ihn verliebt. Norja meinte jedoch, daß die Liebe nur Ärger brächte. Ich solle mich lieber nächtlich mit ihnen vergnügen und sie dann ziehen lassen. So hat man immer die Wahl zwischen ihnen, sie sind meist äußerst bereitwillig und werden nicht lästig.

Es war alles so, wie es sein sollte, bis wir dann eines Tages einen verletzten Söldner, der vom Weg abkam und sich immer tiefer in das Moor verirrte, aus einem Sumpfloch retteten. Seine Wunden waren schwer und faulig. Wir pflegten ihn gesund mit all unserem Wissen und Können. Kaum war er wieder recht gut bei Kräften, wurde er ständig aufdringlich. Norja, hatte also recht mit den Männern. Sie bot ihm an, ihn bis an das Ende des Sumpfes zu geleiten. Sie wolle keine Gegenleistung für seine Heilung, doch er solle wissen, daß er in unserer Hütte nicht mehr wilkommen sei. So kam es dann, daß Norja und er aufbrachen.
Das war das letzte Mal, daß ich meine Mutter gesehen habe. Nach ein paar Tagen hörte ich viele Stimmen, die über das Moor bis in unseren kleinen Wald getragen wurden. Mir war unwohl, so als ob ich eine dunkle Vorahnung hätte. Schnell packte ich das Nötigste und Norjas Festgewand - warum ich dieses in diesem Moment so wichtig fand, kann ich mir nicht erklären - ein, nahm meinen Besen und Smialyak und versteckte mich hoch oben zwischen den dichtesten Baumwipfeln. Von dort hörte ich sie dann kommen. Sie riefen: "Findet die andere Hexe! Auch sie soll auf dem Scheiterhaufen ihr Ende finden." und "Verbrennt die verfluchte Hütte."
Mir wurde klar, daß Norja tot sein mußte und ich bekam panische Angst. Wie von Sinnen flog ich, so schnell ich konnte, davon. Ich hörte noch ihre Schreie 'Da ist die Hexe! Sie fliegt davon! Allmächtiger Praios, halte sie auf!'. Doch sie wurden immer leiser. Sie konnten mich nicht einholen und ich entkam.
So machte ich mich heimatlos und allein - abgesehen von Smia - auf den Weg, dessen Ziel ich nicht kannte...

Morak, Copyright by Katja Guth

 



Das Schwarze Auge Hexenjagd