Nachdem wir nun der kleine Bruder von Feodora Kupferfeld wieder
in Sicherheit war, wollte ich der Bedeutung der Liste, die ich
bei Sinvey gefunden hatte, nachgehen. Ich fragte meine Gefährten,
ob sie mir bei meiner Sache helfen würden, ich würde sie
natürlich auch dafür belohnen. So kam es, daß
Schleicher, Sheela und ich uns auf den Weg nach Honingen machten.
In Honingen angekommen, erfuhr ich, daß dieser Chadim ben Rashim
einem tragischen Unfall zum Opfer viel. Ich hegte meine Zweifel, ob
der Unfall wirklich nur ein solcher war, denn ich glaubte nicht daran,
daß zufällig sein Name auf dem Zettel durchgestrichen war.
Ohne Schwierigkeiten bekam ich heraus, wo seine Familie wohnte.
Da ich im Dunkeln tappte, wollte ich auf gut Glück versuchen
herauszubekommen, ob ben Rashim nicht vielleicht etwas mit diesem
magischen Dolch von Havena zu tun hatte.
Tatsächlich war er etwa zur
gleichen Zeit in Havena und hatte wohl auch etwas von einem reich
verzierten Dolch erzählt. Mehr gelang mir nicht von seinen
Angehörigen und Freunden zu erfahren.
Ich wollte noch die Größe der Stadt nutzen und hier
herausbekommen, wessen Wappen Sinvey aufgezeichnet hatte. Das
stellte sich jedoch nicht als ganz so einfach heraus. Es sei
vermutlich aus der Region Greifenfurts. Greifentfurt
und Kyndoch liegen weit auseinander, doch Kyndoch war erstmal
näher. Daher entschlossen wir uns, als nächstes dorthin
aufzubrechen.
Als wir am abend im Wirtshaus einkehrten, trafen wir auf Eldridge,
der sich gerade sein drittes oder viertes Bier gönnte. Das
Wiedersehen mußte gefeiert werden und so lud ich alle
für den abend ein. Eldridge, der ja damals mit mir in
Havena verurteilt wurde, war ganz Ohr, als ich von meinen
Neuigkeiten erzählte und wollte sich uns anschließen.
Am nächsten Morgen brachen wir nach Kyndoch auf. Auf unserer
Reise tauschten Eldridge und ich unsere Erlebnisse aus, denn wir
hatten uns seit Havena nicht mehr gesehen. Als wir einige Tage
später ankamen, war es abends und wir kehrten erstmal ein.
Schon im Wirtshaus erfuhren wir, daß es einen Mord gegeben
hat. Das Opfer war kein anderer als Urtok, Sohn des Umdal!
Eigentlich wollte ich aus Rücksicht des Verlustes, die
Eltern nicht belästigen und versuchen, durch andere etwas
mehr zu erfahren. Von unserem Wirt erfuhren wir, daß Umdal
ein Händler war und des öfteren auf Reisen ginge und
oft, als er heimkehrte, sehr erlsene Dinge feilbot. Wir fragten
uns auch in anderen Geschäften durch, doch viel hilfreiches
erfuhren wir nicht. Allerdings ist der Waffenschmied sehr zu
empfehlen, der seine Kunst sehr gut versteht.
Also suchte ich Umdals Eltern auf. Nachdem ich ihnen mein Beileid
aussprach, fragten sie mich, wer ich denn sei und woher ich
denn ihren Sohn kannte. Ich erzählte ihnen, daß ich
Umdal schon vor einigen Jahren auf einer seiner Handelsreisen
kennenlernte. Wir hätten ausgemacht, uns in Havena zu treffen.
Ich gab den Zeitraum an, in dem ich in Havena war an und
fragte sie, ob sie denn wüßten, ob Umdal vielleicht
da etwa nach Havena unterwegs war. Sie bejahten und meinten,
er wolle dort unter anderem einen seltenen Dolch erstehen! Ich
entgegnete, daß wir uns dann wohl verfehlt haben
mußten und daß es mir leid tat, ihn nicht noch einmal
gesehen haben zu können. Noch mal mein Beileid aussprechend,
verabschiedete ich mich.
Als wir im Wirtshaus eintrafen, sah ich, wie Eldridge sich zu meinem
Erstaunen sich mit Kyriani gerade unterhielt. Sie hatten sich
beim Waffenschmied getroffen. Auch sie entschloß sich,
mit uns mitzukommen.
So machten wir uns am nächsten Tag zu sechst zu unserem
langen Weg zum Finsterkamm auf. Wir wählten den Weg über
Gratenfels und Angbar. Ohne große Zwischenfälle kamen
wir einige Tage später in Gratenfels an.
Dort versuchte ich noch mal etwas mehr über das Wappen
zu erfahren und ich hatte Glück. Das Wappen sei zwar nicht
bekannt, jedoch aber ein ganz ähnliches mit einer Sonne
statt des Mondes. Dies sei das Wappen der Grafschaft Edwinstein
beim Finsterkamm und der Graf von Edwinstein hielte sich
derzeit sogar in Angbar auf.
Mit der Hoffnung, doch nicht bis nach Greifenfurt zu müssen,
machten wir uns auf den beschwerlichen Weg über die
Koschberge nach Angbar.
Durchnäßt und durchgefroren kamen wir in Angbar an
und waren froh uns im Wirtshaus trocknen und aufwärmen zu
können. Ich ließ meine Kleider reinigen, wollte ich
doch den Grafen von Edwinstein aufsuchen.
Ohne großen Aufhebens wurde ich zum Grafen vorgelassen.
Ich erzählte ihm, daß ich auf der Suche nach jemanden
war, dessen Wappen dem seinen ganz ähnlich war, da ich ihn
in Gefahr wähnte und warnen wollte. Als ich ihm das Wappen
beschrieb, entgegnete er, daß es seinem Bruder,
Samuel von Smulinvest gehöre. Natürlich wollte er
wissen, von welcher Gefahr ich spreche. Ich entgegnete, daß
ich gehört habe, daß das Wappen auf einer Liste
stehe, auf der mehrere Personen stünden, die vor kurzem
den Tod fanden. Dies besorgte ihn. Er meinte, sein Bruder hielte
sich in Balichten auf. Das sei zwar nicht weit weg, doch es
wäre ein gefährlicher Weg. Als ich erwiderte, daß
mich das nicht entmutigen würde, schien er erleichtert.
Er beschrieb mir den Weg und bat mich sogar etwas für seinen
Bruder mitzunehmen und diesen zu fragen, ob die Bilder, die er
für ihn anfertigen sollte, schon fertig sein. Er würde
natürlich für den Transport Maultiere stellen und wollte
gar einen Lohn auszahlen, doch da das keine Umstände
für uns bedeuten würde, lehnte ich höflich
das Geld ab.
Noch am gleichen Tag brachen wir auf. Der Weg führte uns
durch ein kleines Dorf namens Fabiles und dann hinein in den
finsteren Schlangenwald, der von den Einheimischen gefürchtet
wurde.
Nach einigen Stunden kamen wir an einer kleinen Lichtung
vorbei. Dort hauste in einer ärmlichen Hütte ein
scheinbar verwirrter, alter Mann. Er meinte, daß er
hier gerne sei, weil das Meer so schön sei und andere
merkwürdige Dinge. Gerade, als ich mit meinen Gefährten
die Hütte verlassen wollte, rief er leise zu mir:
"Kara von Weiden, Kara von Weiden." Ich trat wieder auf ihn zu
und wollte ihn fragen, woher er meinen Namen kannte, doch er
packte mich am Arm und sprach: "Kara von Weiden. Wenn es Euch
nicht in kurzer Zeit gelingt, die Ehre Eurer Familie zu retten,
werdet Ihr innerhalb des nächsten Jahres durch die Hand
eines Kindes sterben." Das war natülich nicht die Art,
wie ich mir meinen Tod wünschte. Ich versuchte ihm Fragen
zu stellen, doch er schien wieder der verwirrte Greis zu sein,
denn außer daß ich ihm gerne beim Muschelnsuchen
helfen darf und daß ich doch dem Meeresrauschen lauschen
sollte, waren keine Worte aus ihm herauszubekommen. Beunruhigt
trat ich hinaus zu den anderen und wir setzten unseren Weg fort.
Der Wald wurde dichter. Es machte kaum einen Unterschied, ob
die Sonne noch hoch am Himmel oder kurz über dem Horizont
stand, so wenig Tageslicht kam auf unseren Pfad, der immer
schmaler und schmaler wurde und zu beiden Seiten von dichtem,
dornigem Gebüsch gesäumt war. In der Nacht wurden wir
von Wölfen angegriffen, denen die Maultiere, die wir dabei
hatten, zum Opfer fielen.
Als wir am nächsten Morgen weiterzogen, meinten
wir einen großen Wolf vor uns quer über den Weg
huschen zu sehen. Doch als wir an dieser Stelle ankamen, war
dort weit und breit kein durchkommen durch die dichten
Dornenbüsche für ein Tier dieser Größe.
Dann fanden wir die Spuren. Sie schienen aus dem Gestrüpp
zu kommen und auf der anderen Seite wieder darin zu
verschwinden. Eldridge meinte daraufhin, das wäre
bestimmt nur so eine Zauberei und die Büsche nur eine
Illusion und warf sich in diese hinein - sie waren keine
Illusion...
Noch vor der Mittagsstunde hatten wir das Ende des Waldes
und unser Ziel, das Dorf Balichten.
Im Hause des Grafen von Smulinvest angekommen, ließ
der Graf sich entschuldigen, daß er an diesem Tag kaum
Zeit für uns haben würde. Wir wurden jedoch
gastfreundlich im Hause aufgenommen und zum Abendessen mit
dem Grafen eingeladen.
Beim Abendessen war ebenfalls eine Karawane zu Tisch, daher
hielten wir es für besser, noch nicht jetzt mit dem
Grafen über die Liste zu sprechen. Der Abend verlief
mit viel Wein, Spaß und Gesang. Erst spät ging
ich zu Bett, doch im Saal wurde noch weiter gefeiert.
Von einem lauten Krachen und einem gellenden Schrei wurde
ich mitten in der Nacht geweckt. Auf dem Flur sammelten sich
mehrere Leute vor dem Zimmer des Karawanenanführers,
da der Schrei wohl von ihm kam. Als er nicht öffnete
oder gar antwortete stießen wir die Tür auf.
Er war tot... Ein Holzsplitter von etwa einundeinhalb
Schritt Länge muß sich vom Deckenbalken abgesprengt
haben und hat den Anführer durchbohrt. War es ein
Unfall oder wurde da nachgeholfen?
Auch der Graf kam nun dazu. Er bedauerte das alles sehr.
Als die restliche Karawane zur Ruhe gebracht werden
konnte und für die Nacht gebeten wurde, wieder in
ihre Quartiere zu gehen, drängte ich den Grafen, sich
für ein vielleicht wichtiges Gespräch mit mir
die Zeit zu nehmen, da ich um sein Leben bangte. Er
willigte ein, da er meinte, eh nicht sehr bald einschlafen
zu können und führte mich in ein ruhigeres
Zimmer.
Ich zeigte ihm Sinveys Zettel und erzählte ihm, was
ich herausgefunden hatte. Erst als ich damit rausrückte,
daß man versucht hatte auch mich loszuwerden und
daß ich so viel Wert auf jedes einzelne Detail lege,
das ich herausfinden kann, weil ich eventuell dadurch
meine Unschuld an einem Mord, der just mit diesem magischen
Dolch begangen wurde, beweisen könnte, sagte er zu
meinem Erstaunen nach einem abwägenden Blick:
"Auch ich war zu der besagten Zeit in Havena. Ich wollte
den Dolch kaufen. Ich bin der Magie kundig. Er interessierte mich,
da ich die arkanen Kräfte in diesem spürte und
erforschen wollte."
Am nächsten Morgen ereignete sich ein weiterer Todesfall,
wieder ein Mitglied der Karawane. Kyriani und Eldridge
hatten noch gesehen, wie ein wolfsähnliches Wesen
davon lief. Eldridge versuchte das Wesen zu verfolgen.
Leider ohne Erfolg.
Ich wollte den Hausherrn von dem tragischen Zwischenfall in
Kenntnis setzen. Als ich seine Gemächer erreicht hatte,
sah ich durch eine offene Tür, wie der Graf von Smulinvest
sichtlich überrascht mich zu erblicken, rasch eine Hand
vor seinen Mund hob, die andere hinter seinem Rücken
versteckte und mir vor der Nase die Tür zuschlug.
Nicht gerade die besten Manieren! Ich rief ihm halt durch die
Tür zu, was passiert sei und ob es nicht als Hausherr
angebracht wäre, doch selbst nach dem Rechten zu schauen.
Als ich mich gerade wieder der Treppe zuwenden wollte, kamen
Sheela, Kyriani, Eldridge und Schleicher angerannt. Ich
erzählte Ihnen, daß der Graf augenscheinlich
wünscht, nicht gesprochen zu werden, da entdeckte Kyriani
auf einem Fenstersims einen frischen Handabdruck aus Blut.
Meine Gefährten schilderten mir, daß das wolfsartige
Wesen aufrecht zu laufen schien. Vielleicht sei es ein Wehrwolf,
der hier im Hause seine Zuflucht hat. Etwas skeptisch geworden,
schilderte ich ihnen, nicht ahnend wie unbedacht meine
Kameraden sind, das etwas merkwürdige Verhalten des Grafen.
Ohne Zögern warfen sie sich mit aufgebrachten Rufen gegen
die Tür zu dessen Gemächern. Innen konnte man
hören wie eine weitere Tür zuschlug und verriegelt
wurde. Ich versuchte vergeblich meine Gefährten zur Ruhe
zu bringen. Da gab die erste Tür auch schon nach und sie
stürmten mit gezogenen Waffen hinein. Auch meine
Einwände, daß dies doch nur wage Vermutungen sein,
brachten sie nicht von ihrem Vorhaben ab. Schon bohrte sich
Eldridge große Streitaxt tief in die nächste
Tür. Als der zweite Hieb alsbald folgte, war von innen
ein lautes, zorniges und so gar nicht menschliches Brüllen
zu vernehmen. Meine Freunde sollten wohl recht behalten, was
ein derart übereiltes Vorgehen jedoch kaum rechtfertigen
sollte. Die Tür splitterte und wir sahen ein Wesen,
daß so gar nicht mehr dem Grafen glich.
Nach kurzem Kampf war der Wehrwolf besiegt. Auf dem Boden
liegend, verwandelte er sich in den Grafen zurück. Er schien
noch zu versuchen, uns etwas zu sagen und so beugte ich mich zu ihm
herab. Keuchend brachte er leise hervor:
"Ich war es nicht. Es ist das Haus. Reist ab!"
Ein Wehrwolf mochte er sein, aber vielleicht steckte trotz allem
noch eine gute Seele in ihm und vielleicht war er unschuldig,
an den Todesfällen. Sheela und ich versuchten seine Wunden
zu versorgen, doch es sah nicht gut aus. Noch einmal schien
er etwas sagen zu wollen. Ich mußte ganz nah heran, um
ihn noch verstehen zu können. "Nehmt dieses Buch! Es wird
Euch auf Eurer Suche helfen." sprach er und zog aus seinem
zerfetzten Hemd ein Buch. Ich nahm es entgegen. Wenig später
starb er.
Tatsächlich begann das Haus uns nun anzugreifen und wir
mußten uns nach draußen kämpfen. Das mag
verrückt klingen, doch das ist eine eigene, lange Geschichte,
die ich ein anderes Mal erzählen möchte.
Ich hatte Gelegenheit in das Buch zu schauen. Es schien eine Art
Buchführung zu sein. Doch bei genauerem Lesen konnte ich mich des
Gefühls nicht erwehren, daß es zwischen den Zeilen um
Aufträge ging, bei denen gewisse "Probleme" zu beseitigen
wären. Einige höhergestellte Persönlichkeiten aus
Havena wurden als Auftraggeber genannt.
Natürlich wollte ich dem sobald wie möglich nachgehen.
Doch es kam anders:
Mittlerweile hatte es auch Allanon in dieses scheinbar verschlafene
Nest verschlagen. Als wir unsere letzte Nacht in Balichten
verbrachten, kam ein Rondrageweihter auf Allanon zu geritten und
fiel vor ihm mit zwei Orkpfeilen im Rücken von seinem Pferd.
Der Sterbende rang Allanon das Versprechen ab, seinen Auftrag
weiterzuführen und gab ihm einen Brief.
So kam es, daß wir erst diesen Auftrag auszuführen
hatten. Doch das ist eine weitere Geschichte...
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