Kara von Weiden (Kriegerin) - Sinveys Liste II

Nachdem wir nun der kleine Bruder von Feodora Kupferfeld wieder in Sicherheit war, wollte ich der Bedeutung der Liste, die ich bei Sinvey gefunden hatte, nachgehen. Ich fragte meine Gefährten, ob sie mir bei meiner Sache helfen würden, ich würde sie natürlich auch dafür belohnen. So kam es, daß Schleicher, Sheela und ich uns auf den Weg nach Honingen machten.
In Honingen angekommen, erfuhr ich, daß dieser Chadim ben Rashim einem tragischen Unfall zum Opfer viel. Ich hegte meine Zweifel, ob der Unfall wirklich nur ein solcher war, denn ich glaubte nicht daran, daß zufällig sein Name auf dem Zettel durchgestrichen war.
Ohne Schwierigkeiten bekam ich heraus, wo seine Familie wohnte. Da ich im Dunkeln tappte, wollte ich auf gut Glück versuchen herauszubekommen, ob ben Rashim nicht vielleicht etwas mit diesem magischen Dolch von Havena zu tun hatte. Tatsächlich war er etwa zur gleichen Zeit in Havena und hatte wohl auch etwas von einem reich verzierten Dolch erzählt. Mehr gelang mir nicht von seinen Angehörigen und Freunden zu erfahren.

Ich wollte noch die Größe der Stadt nutzen und hier herausbekommen, wessen Wappen Sinvey aufgezeichnet hatte. Das stellte sich jedoch nicht als ganz so einfach heraus. Es sei vermutlich aus der Region Greifenfurts. Greifentfurt und Kyndoch liegen weit auseinander, doch Kyndoch war erstmal näher. Daher entschlossen wir uns, als nächstes dorthin aufzubrechen.

Als wir am abend im Wirtshaus einkehrten, trafen wir auf Eldridge, der sich gerade sein drittes oder viertes Bier gönnte. Das Wiedersehen mußte gefeiert werden und so lud ich alle für den abend ein. Eldridge, der ja damals mit mir in Havena verurteilt wurde, war ganz Ohr, als ich von meinen Neuigkeiten erzählte und wollte sich uns anschließen.

Am nächsten Morgen brachen wir nach Kyndoch auf. Auf unserer Reise tauschten Eldridge und ich unsere Erlebnisse aus, denn wir hatten uns seit Havena nicht mehr gesehen. Als wir einige Tage später ankamen, war es abends und wir kehrten erstmal ein. Schon im Wirtshaus erfuhren wir, daß es einen Mord gegeben hat. Das Opfer war kein anderer als Urtok, Sohn des Umdal!
Eigentlich wollte ich aus Rücksicht des Verlustes, die Eltern nicht belästigen und versuchen, durch andere etwas mehr zu erfahren. Von unserem Wirt erfuhren wir, daß Umdal ein Händler war und des öfteren auf Reisen ginge und oft, als er heimkehrte, sehr erlsene Dinge feilbot. Wir fragten uns auch in anderen Geschäften durch, doch viel hilfreiches erfuhren wir nicht. Allerdings ist der Waffenschmied sehr zu empfehlen, der seine Kunst sehr gut versteht.
Also suchte ich Umdals Eltern auf. Nachdem ich ihnen mein Beileid aussprach, fragten sie mich, wer ich denn sei und woher ich denn ihren Sohn kannte. Ich erzählte ihnen, daß ich Umdal schon vor einigen Jahren auf einer seiner Handelsreisen kennenlernte. Wir hätten ausgemacht, uns in Havena zu treffen. Ich gab den Zeitraum an, in dem ich in Havena war an und fragte sie, ob sie denn wüßten, ob Umdal vielleicht da etwa nach Havena unterwegs war. Sie bejahten und meinten, er wolle dort unter anderem einen seltenen Dolch erstehen! Ich entgegnete, daß wir uns dann wohl verfehlt haben mußten und daß es mir leid tat, ihn nicht noch einmal gesehen haben zu können. Noch mal mein Beileid aussprechend, verabschiedete ich mich.
Als wir im Wirtshaus eintrafen, sah ich, wie Eldridge sich zu meinem Erstaunen sich mit Kyriani gerade unterhielt. Sie hatten sich beim Waffenschmied getroffen. Auch sie entschloß sich, mit uns mitzukommen.

So machten wir uns am nächsten Tag zu sechst zu unserem langen Weg zum Finsterkamm auf. Wir wählten den Weg über Gratenfels und Angbar. Ohne große Zwischenfälle kamen wir einige Tage später in Gratenfels an.
Dort versuchte ich noch mal etwas mehr über das Wappen zu erfahren und ich hatte Glück. Das Wappen sei zwar nicht bekannt, jedoch aber ein ganz ähnliches mit einer Sonne statt des Mondes. Dies sei das Wappen der Grafschaft Edwinstein beim Finsterkamm und der Graf von Edwinstein hielte sich derzeit sogar in Angbar auf.
Mit der Hoffnung, doch nicht bis nach Greifenfurt zu müssen, machten wir uns auf den beschwerlichen Weg über die Koschberge nach Angbar.

Durchnäßt und durchgefroren kamen wir in Angbar an und waren froh uns im Wirtshaus trocknen und aufwärmen zu können. Ich ließ meine Kleider reinigen, wollte ich doch den Grafen von Edwinstein aufsuchen.
Ohne großen Aufhebens wurde ich zum Grafen vorgelassen. Ich erzählte ihm, daß ich auf der Suche nach jemanden war, dessen Wappen dem seinen ganz ähnlich war, da ich ihn in Gefahr wähnte und warnen wollte. Als ich ihm das Wappen beschrieb, entgegnete er, daß es seinem Bruder, Samuel von Smulinvest gehöre. Natürlich wollte er wissen, von welcher Gefahr ich spreche. Ich entgegnete, daß ich gehört habe, daß das Wappen auf einer Liste stehe, auf der mehrere Personen stünden, die vor kurzem den Tod fanden. Dies besorgte ihn. Er meinte, sein Bruder hielte sich in Balichten auf. Das sei zwar nicht weit weg, doch es wäre ein gefährlicher Weg. Als ich erwiderte, daß mich das nicht entmutigen würde, schien er erleichtert. Er beschrieb mir den Weg und bat mich sogar etwas für seinen Bruder mitzunehmen und diesen zu fragen, ob die Bilder, die er für ihn anfertigen sollte, schon fertig sein. Er würde natürlich für den Transport Maultiere stellen und wollte gar einen Lohn auszahlen, doch da das keine Umstände für uns bedeuten würde, lehnte ich höflich das Geld ab.

Noch am gleichen Tag brachen wir auf. Der Weg führte uns durch ein kleines Dorf namens Fabiles und dann hinein in den finsteren Schlangenwald, der von den Einheimischen gefürchtet wurde.
Nach einigen Stunden kamen wir an einer kleinen Lichtung vorbei. Dort hauste in einer ärmlichen Hütte ein scheinbar verwirrter, alter Mann. Er meinte, daß er hier gerne sei, weil das Meer so schön sei und andere merkwürdige Dinge. Gerade, als ich mit meinen Gefährten die Hütte verlassen wollte, rief er leise zu mir: "Kara von Weiden, Kara von Weiden." Ich trat wieder auf ihn zu und wollte ihn fragen, woher er meinen Namen kannte, doch er packte mich am Arm und sprach: "Kara von Weiden. Wenn es Euch nicht in kurzer Zeit gelingt, die Ehre Eurer Familie zu retten, werdet Ihr innerhalb des nächsten Jahres durch die Hand eines Kindes sterben." Das war natülich nicht die Art, wie ich mir meinen Tod wünschte. Ich versuchte ihm Fragen zu stellen, doch er schien wieder der verwirrte Greis zu sein, denn außer daß ich ihm gerne beim Muschelnsuchen helfen darf und daß ich doch dem Meeresrauschen lauschen sollte, waren keine Worte aus ihm herauszubekommen. Beunruhigt trat ich hinaus zu den anderen und wir setzten unseren Weg fort.

Der Wald wurde dichter. Es machte kaum einen Unterschied, ob die Sonne noch hoch am Himmel oder kurz über dem Horizont stand, so wenig Tageslicht kam auf unseren Pfad, der immer schmaler und schmaler wurde und zu beiden Seiten von dichtem, dornigem Gebüsch gesäumt war. In der Nacht wurden wir von Wölfen angegriffen, denen die Maultiere, die wir dabei hatten, zum Opfer fielen.
Als wir am nächsten Morgen weiterzogen, meinten wir einen großen Wolf vor uns quer über den Weg huschen zu sehen. Doch als wir an dieser Stelle ankamen, war dort weit und breit kein durchkommen durch die dichten Dornenbüsche für ein Tier dieser Größe. Dann fanden wir die Spuren. Sie schienen aus dem Gestrüpp zu kommen und auf der anderen Seite wieder darin zu verschwinden. Eldridge meinte daraufhin, das wäre bestimmt nur so eine Zauberei und die Büsche nur eine Illusion und warf sich in diese hinein - sie waren keine Illusion...
Noch vor der Mittagsstunde hatten wir das Ende des Waldes und unser Ziel, das Dorf Balichten.

Im Hause des Grafen von Smulinvest angekommen, ließ der Graf sich entschuldigen, daß er an diesem Tag kaum Zeit für uns haben würde. Wir wurden jedoch gastfreundlich im Hause aufgenommen und zum Abendessen mit dem Grafen eingeladen.
Beim Abendessen war ebenfalls eine Karawane zu Tisch, daher hielten wir es für besser, noch nicht jetzt mit dem Grafen über die Liste zu sprechen. Der Abend verlief mit viel Wein, Spaß und Gesang. Erst spät ging ich zu Bett, doch im Saal wurde noch weiter gefeiert.

Von einem lauten Krachen und einem gellenden Schrei wurde ich mitten in der Nacht geweckt. Auf dem Flur sammelten sich mehrere Leute vor dem Zimmer des Karawanenanführers, da der Schrei wohl von ihm kam. Als er nicht öffnete oder gar antwortete stießen wir die Tür auf. Er war tot... Ein Holzsplitter von etwa einundeinhalb Schritt Länge muß sich vom Deckenbalken abgesprengt haben und hat den Anführer durchbohrt. War es ein Unfall oder wurde da nachgeholfen?
Auch der Graf kam nun dazu. Er bedauerte das alles sehr. Als die restliche Karawane zur Ruhe gebracht werden konnte und für die Nacht gebeten wurde, wieder in ihre Quartiere zu gehen, drängte ich den Grafen, sich für ein vielleicht wichtiges Gespräch mit mir die Zeit zu nehmen, da ich um sein Leben bangte. Er willigte ein, da er meinte, eh nicht sehr bald einschlafen zu können und führte mich in ein ruhigeres Zimmer.
Ich zeigte ihm Sinveys Zettel und erzählte ihm, was ich herausgefunden hatte. Erst als ich damit rausrückte, daß man versucht hatte auch mich loszuwerden und daß ich so viel Wert auf jedes einzelne Detail lege, das ich herausfinden kann, weil ich eventuell dadurch meine Unschuld an einem Mord, der just mit diesem magischen Dolch begangen wurde, beweisen könnte, sagte er zu meinem Erstaunen nach einem abwägenden Blick: "Auch ich war zu der besagten Zeit in Havena. Ich wollte den Dolch kaufen. Ich bin der Magie kundig. Er interessierte mich, da ich die arkanen Kräfte in diesem spürte und erforschen wollte."

Am nächsten Morgen ereignete sich ein weiterer Todesfall, wieder ein Mitglied der Karawane. Kyriani und Eldridge hatten noch gesehen, wie ein wolfsähnliches Wesen davon lief. Eldridge versuchte das Wesen zu verfolgen. Leider ohne Erfolg.
Ich wollte den Hausherrn von dem tragischen Zwischenfall in Kenntnis setzen. Als ich seine Gemächer erreicht hatte, sah ich durch eine offene Tür, wie der Graf von Smulinvest sichtlich überrascht mich zu erblicken, rasch eine Hand vor seinen Mund hob, die andere hinter seinem Rücken versteckte und mir vor der Nase die Tür zuschlug.
Nicht gerade die besten Manieren! Ich rief ihm halt durch die Tür zu, was passiert sei und ob es nicht als Hausherr angebracht wäre, doch selbst nach dem Rechten zu schauen. Als ich mich gerade wieder der Treppe zuwenden wollte, kamen Sheela, Kyriani, Eldridge und Schleicher angerannt. Ich erzählte Ihnen, daß der Graf augenscheinlich wünscht, nicht gesprochen zu werden, da entdeckte Kyriani auf einem Fenstersims einen frischen Handabdruck aus Blut. Meine Gefährten schilderten mir, daß das wolfsartige Wesen aufrecht zu laufen schien. Vielleicht sei es ein Wehrwolf, der hier im Hause seine Zuflucht hat. Etwas skeptisch geworden, schilderte ich ihnen, nicht ahnend wie unbedacht meine Kameraden sind, das etwas merkwürdige Verhalten des Grafen.
Ohne Zögern warfen sie sich mit aufgebrachten Rufen gegen die Tür zu dessen Gemächern. Innen konnte man hören wie eine weitere Tür zuschlug und verriegelt wurde. Ich versuchte vergeblich meine Gefährten zur Ruhe zu bringen. Da gab die erste Tür auch schon nach und sie stürmten mit gezogenen Waffen hinein. Auch meine Einwände, daß dies doch nur wage Vermutungen sein, brachten sie nicht von ihrem Vorhaben ab. Schon bohrte sich Eldridge große Streitaxt tief in die nächste Tür. Als der zweite Hieb alsbald folgte, war von innen ein lautes, zorniges und so gar nicht menschliches Brüllen zu vernehmen. Meine Freunde sollten wohl recht behalten, was ein derart übereiltes Vorgehen jedoch kaum rechtfertigen sollte. Die Tür splitterte und wir sahen ein Wesen, daß so gar nicht mehr dem Grafen glich.
Nach kurzem Kampf war der Wehrwolf besiegt. Auf dem Boden liegend, verwandelte er sich in den Grafen zurück. Er schien noch zu versuchen, uns etwas zu sagen und so beugte ich mich zu ihm herab. Keuchend brachte er leise hervor: "Ich war es nicht. Es ist das Haus. Reist ab!"
Ein Wehrwolf mochte er sein, aber vielleicht steckte trotz allem noch eine gute Seele in ihm und vielleicht war er unschuldig, an den Todesfällen. Sheela und ich versuchten seine Wunden zu versorgen, doch es sah nicht gut aus. Noch einmal schien er etwas sagen zu wollen. Ich mußte ganz nah heran, um ihn noch verstehen zu können. "Nehmt dieses Buch! Es wird Euch auf Eurer Suche helfen." sprach er und zog aus seinem zerfetzten Hemd ein Buch. Ich nahm es entgegen. Wenig später starb er.
Tatsächlich begann das Haus uns nun anzugreifen und wir mußten uns nach draußen kämpfen. Das mag verrückt klingen, doch das ist eine eigene, lange Geschichte, die ich ein anderes Mal erzählen möchte.

Ich hatte Gelegenheit in das Buch zu schauen. Es schien eine Art Buchführung zu sein. Doch bei genauerem Lesen konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß es zwischen den Zeilen um Aufträge ging, bei denen gewisse "Probleme" zu beseitigen wären. Einige höhergestellte Persönlichkeiten aus Havena wurden als Auftraggeber genannt.

Natürlich wollte ich dem sobald wie möglich nachgehen. Doch es kam anders:
Mittlerweile hatte es auch Allanon in dieses scheinbar verschlafene Nest verschlagen. Als wir unsere letzte Nacht in Balichten verbrachten, kam ein Rondrageweihter auf Allanon zu geritten und fiel vor ihm mit zwei Orkpfeilen im Rücken von seinem Pferd. Der Sterbende rang Allanon das Versprechen ab, seinen Auftrag weiterzuführen und gab ihm einen Brief.
So kam es, daß wir erst diesen Auftrag auszuführen hatten. Doch das ist eine weitere Geschichte...

Kara, Copyright by Katja Guth






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